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Perspektive

Was ist "Perspektive"?

January 1st, 2002 - 12:00:00 AM:

Es scheint eine große Verwirrung darüber zu geben, was „Perspektive” eigentlich ist und was sie beeinflusst. Scheinbar gedankenlos werden Begriffe wie „Weitwinkelperspektive” verwendet, die Legende vom „tiefenkomprimierenden Tele” macht die Runde.

Der Duden beschreibt „Perspektive” mit:

Darstellung vom Raumverhältnissen in der ebenen Fläche; Sicht, Blickwinkel;

Bemerkenswert vor allem, was hier nicht steht, nämlich dass die Brennweite eines Objektivs irgendetwas mit der Perspektive zu tun hätte! Um es nochmal deutlich (und auf die Fotografie gemünzt) auszudrücken: Perspektive wird nicht durch die Brennweite verändert, sondern alleine durch den Standpunkt und Blickwinkel des Fotografen!

Aber Moment, war nicht erst in einer Zeitschrift, einem Herstellerprospekt oder sogar in einem Lehrbuch eine Bildserie zu sehen, in der die Perspektive sich deutlich mit den verschiedenen Brennweiten änderte? Haben wir nicht schon hunderte Fotos gesehen, Weitwinkelbilder mit betontem Vordergrund und Telebilder mit komprimierter Tiefe? Das soll nun alles nicht stimmen?

Der Glaube, dass die Brennweite die Perspektive ändert, ist nachvollziehbar. Ebenso ist es nachvollziehbar, dass vor nicht allzu langer Zeit die Menschheit glaubte, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Man kann das schließlich jeden Tag beobachten. Aber ebenso wie bei diesen astronomischen Beobachtungen lassen sich durch genaue und systematische Beobachtung schnell Widersprüche aufdecken, und die wahren Verhältnisse kommen zum Vorschein.

Perspektive und Brennweite

Was ist Perspektive nun, im fotografischen Sinn? Perspektive ist die Abbildung einer dreidimensionalen Szene auf ein zweidimensionales Bild, sei es auf Film, einer Leinwand oder auch nur auf der Netzhaut unserer Augen. Diese Abbildung hängt davon ab, wie weit der Beobachter von den verschiedenen Objekten in der Szene entfernt ist, wie weit die Objekte voneinander entfernt sind, wie groß die Objekte sind, wie sie zueinander positioniert sind, und aus welcher Blickrichtung der Beobachter die Szene betrachtet. Aus diesen Verhältnissen ergibt sich, wie groß die Objekte im Bild erscheinen, und welche Teile des Vordergrundes welche Teile des Hintergrundes verdecken.

Brennweite ist dagegen eine Eigenschaft eines optischen Systems (z. B. eines Fotoobjektivs oder der Linse im Auge). Sie bestimmt zusammen mit der Größe der Bildfläche den Bildwinkel, also welcher Ausschnitt der gesamten Umgebung auf die Bildfläche tatsächlich abgebildet wird. Bei gleichbleibender Bildfläche bewirkt eine kürzere Brennweite einen größeren Bildwinkel, also die Abbildung eines größeren Ausschnittes der Szene. Eine längere Brennweite bewirkt einen kleineren Bildwinkel und damit die Abbildung eines kleineren Ausschnittes.

Warum beeinflusst nun die Brennweite die Perspektive nicht? Der Grund ist einfach. Man kann sich den Lichtstrahl vorstellen, der von einem Objekt im Hintergrund in Richtung des Betrachters reflektiert wird. Es gibt nun drei Möglichkeiten: (1) der Lichtstrahl erreicht den Betrachter, (2) der Lichtstrahl geht am Betrachter vorbei, oder (3) der Lichtstrahl würde den Betrachter erreichen, wird aber vom einem Objekt dazwischen geschluckt. Möglichkeit 1 wird relativ häufig auftreten für Objekte in der Nähe des Betrachters. Möglichkeit 2 wird häufig für ferne Objekte eintreten, denn nur die Lichtstrahlen in einem engen Winkel nehmen den „richtigen” Weg. Möglichkeit 3 tritt umso häufiger auf, je näher der Betrachter am Objekt im Vordergrund steht im Vergleich zu den Objekten im Hintergrund. Es ist klar, dass sich an den Strahlenverläufen nichts ändert, nur weil der Betrachter einen größeren oder kleineren Ausschnitt der Szene betrachtet. Lichtstrahlen können durch den Betrachter nicht auf ihrem Weg „um die Ecke” geleitet werden.

Merksatz: Position bestimmt Perspektive, Brennweite bestimmt Bildausschnitt.